Magazine for Sexuality and Politics

Shopping und Bezogenheit

Susanne Schade

Diese Woche ist Black Week in Deutschland und es ist ein guter Zeitpunkt, sich kritisch mit der Sehnsucht nach Glücksversprechen in Form von Shopping auseinanderzusetzen.

In einem von der Gesellschaft gefördertem weiblichen, männlichen und diversen Narzissmus sind sehr viele Ersatzhandlungen geeignet, vom eigentlichen Thema abzulenken. Während Frauen klassischerweise ihre narzisstische Regulation auf ihr Schönheitsideal lenken und Dinge, die ihren Körper zur Geltung bringen, funktioniert die narzisstische Regulation bei Männern eher über Statussymbole wie ein Auto, eine Eigentumswohnung, neueste Technik oder ein dickes Bankkonto (vgl. Maaz, 2014). Die Angebote der Schönheits- und Modeindustrie oder des Auto- und Technikmarktes sind schier endlos: immer abwechslungsreicher, intensiver und häufiger wird eine Kompensation für tiefe Kränkungen geliefert.

Der Wunsch nach Bezogenheit geht einher mit der Angst nicht dazu zu gehören zum Freundeskreis, zur Studi- oder Azubigruppe, zum Kolleg*innenkreis, zur Familie oder zur Kultur und Nation. Diese Angst mischt sich mit einem Gefühl des nicht genug Seins. Bereits frühe Versagungen der Eltern führen dazu, dass sich Kinder nicht genug geliebt fühlen, dass sie sich anpassen, um zu gefallen, dass sie zeitlebens um Anerkennung werben, dass sie sich mit Erreichtem nie zufrieden geben. Der erlittene Liebesmangel, die frühen narzisstischen Defizite, führen zu einer Reihe von Kompensationen und Ablenkungen, mit dem einzigen Ziel, die ersehnte liebevolle Zuwendung doch noch zu erreichen (Maaz, 2014). Das große Kompensations- und Ablenkungsmanöver erreicht in der Black Week oder dem Cyber Friday ihren Höhepunkt.

In einer Gesellschaft, in der höher, schneller, weiter das Ziel ist, um endlos Mehrwert zu schaffen, einer Gesellschaft, deren Produktionsweise übermäßigen Konsum befördert, werden die subjektiv erfahrenen Kränkungen durch die Eltern ausgebeutet und in neue Bahnen gelenkt. Menschen fühlen sich wertiger, wenn sie das neue Glücks-Objekt erstanden haben. Doch lässt der Kauf oder das Zurschaustellen des neuen Objektes nur eine Leere zurück, eine Leere des früh erlebten Liebesmangels. So nutzt die Industrie ganz gezielt eine zielgruppenspezifische Ansprache, um den Eindruck zu vermitteln, die Liebe stelle sich doch noch ein.

Jesse Goll (unsplash)<br>
Jesse Goll (unsplash)

Der Übergang zu einem süchtigen Verhalten ist wie bei anderen Stoffen (Drogen und Alkohol) leicht. Buying Maniacs oder Shopaholics verspüren ein starkes Verlangen etwas zu kaufen und verlieren die Kontrolle darüber, obwohl negative Konsequenzen drohen. Auch muss die Menge immer weiter gesteigert werden und die Handlungen werden zwanghaft wiederholt. Häufig dient dabei das Shopping der emotionalen Regulation, um Ärger, Wut, Einsamkeit, Frustration oder Irritationen nicht spüren zu müssen. Die Gefühle werden mit dem Shopping einfach ausgelöscht, die Gründe dessen bleiben jedoch unverstanden. In der Folge von Shopping treten oftmals Gefühle von Traurigkeit, Scham, Desillusion oder Schuld und Selbstbestrafung/-anklage auf, weil der gewünschte Effekt, die Leere zu bewältigen, nicht eingetreten ist (Savelle-Rocklin & Akhtar, 2019).

Nun können sich Menschen auf Spurensuche begeben, warum diese unerträglichen Gefühle auftreten. Dabei bleibt es nicht aus, sich mit den eigenen Eltern zu befassen, denn die Sehnsüchte gelten letztendlich ihnen. Der Schmerz kann sehr groß sein und die Wut unerträglich, aber Ersatzhandlungen sind schlecht geeignet, um die Ursache zu bekämpfen. Es ist auch möglich, dass Shopaholics in ihrer Kindheit materiell benachteiligt waren (im Vergleich zu ihren Gleichaltrigen), vielleicht wurden sie deswegen verspottet oder sie haben das so wahrgenommen. Diese psychischen Wunden können also auch von Gleichaltrigen stammen, die zu übermäßigem Konsumverhalten führen.

In einer Gesellschaft, deren Wirtschaftsweise nicht den Narzissmus von Menschen fördert, die nicht den erlittenen Liebesmangel und Ängste des Wunsches nach Bezogenheit ausbeutet, muss es vielmehr darum gehen, Beziehungsstrukturen, die Bezogenheit zu unterstützen. Menschen muss dabei geholfen werden, Beziehungen zu gestalten, aufzubauen und zu pflegen (vgl. Maaz, 2014). Ein Lernen wie Menschen mit Menschen umgehen gehört ebenso dazu wie eine Toleranz und Akzeptanz für Unterschiede zu entwickeln. Die gesellschaftliche Energie, die in den Konsum fließt, gehört genauso kritisiert wie der Zweck des Wirtschaftens. Gleichzeitig kann ein Nachdenken darüber einsetzen, wie authentische Bezogenheit gelebt werden kann, sodass sich Menschen geliebt und angenommen fühlen.


Literatur: 

Maaz, H.-J. (2014). Die narzisstische Gesellschaft – Ein Psychogramm. Beck.

Savelle-Rocklin, N. & Akhtar, S. (2019). Beyond the Primal Addiction - Food, Sex, Gambling, Internet, Shopping, and Work. Routledge.


Berlin, den 26.11.2022 in der Black Week


Fotos: Startseite: freestocks / Header: Jesse Goll (unsplash)

Kommentare ()

  1. Werner Köpp 20 Januar 2023, 16:43 # 0
    Der Artikel ist gut geschrieben, auch gut, dass auf die kapitalistische Notwendigkeit der Mehrwert-Produktion hingewiesen wird. Nun mein kleiner, ergänzender Gedanke dazu: ich glaube, dass die verstehende oder kritische Psychologie beim Konsum mehr die Gebrauchswertsseite und die Tauschwertseite theoretisch auseinander halten sollte. Nicht jeder Objekt-Hunger, der sich auf Konsumgüter richtet, muss einer gesellschaftlichen Pathologie entspringen. Wir Menschen suchen immer das Objekt und sei es auch nur, um uns selbst zu vervollständigen oder zu erweitern. In der von Dir geführten Diskussion kommt es doch hauptsächlich darauf an, wie von Seiten des gesellschaftlich gewordenen Individuums und von Seiten der gesellschaftlich prägenden Institutionen diese Objektsuche (warenökonomisch „Konsumverhalten“) organisiert wird, ausgenutzt wird, missbraucht wird oder im Dienste wirklicher Subjektbedürfnisse bedient wird.

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