Magazine for Sexuality and Politics

...dann man weiß ja nie

Adele Myers

bis dass der Tod uns scheidet

Sie wusste nicht, wie lange sie dort gelegen hatte.

Es war jetzt dunkel, und ein Rinnsal von etwas Klebrigem brannte in ihrem linken Auge.

Den Kopf zu heben war zu beschwerlich, ihr ganzer Körper war schwer, das Pochen klopfte gegen die kalten Fliesen, aber sie schaffte es immerhin, einen Blick auf die Uhr am Herd zu werfen.

3 Uhr morgens.

Dann kamen flutweise die Tränen, wirklich aus dem Nichts, als hätte jemand den Wasserhahn aufgedreht, und schwupps kam die Flut.

Das Stechen in den Augen fühlte sich schlimmer als zuvor an. Was war denn so klebrig? Ihre Grundierung? Haargel? Honig? ......Blut? Es vermischte sich jedenfalls mit ihrer eigenen Salzigkeit.

Blitzlichter der Vergangenheit sprangen hinein ins Visier und wieder hinaus.

Das Zuschlagen von Türen, eine Vase, die an der Wand zerschellt, die Perlenkette, die ihr vom Hals gerissen wurde und welche all die hellen Billigkugeln losschickte, dass sie über den zentral platzierten Einzeltisch hinaus wirbelten, während sie auf und ab über die Marratzi-Muster hüpften, auf denen sie nun ausgestreckt lag.

Sie konnte eine der Kugeln in einer Ecke des Raums sehen. Wie perfekt die bloß im Vergleich zum restlichen Grau aussah.

etwas zu schätzen wissen

Seine Haut schien zu weich für einen Mann. Sie liebte es, über seinen Körper zu gleiten, wenn er es am wenigsten erwartete. Ihn von der Seite zu packen. Sich vorzustellen, dass sie siamesische Zwillinge und an der Hüfte miteinander verwachsen waren. Sie wollte ihn in sich einhüllen und ihn aus jeder einzelnen ihrer Poren herausschwitzen, damit sie nach ihm riechen konnte. Seine Küsse waren so weich, sanft und vorsichtig, dann wieder rau und hart und rollend. Wie nur hatten sie sich vorher nicht gekannt, und waren heute doch so ineinander verwoben, dass es weh tat, getrennt zu sein.

Als er in der Küche stand und sich die Haare hinters Ohr strich, beobachtete sie seine Finger genau. Sie glitten langsam zum Schneidebrett hinunter und griffen fest zu, während sie mit dem scharfen Messer in der anderen Hand die Karotten würfelten. Sie hackten, raspelten sie und warfen sie in die Pfanne. Selbst so eine grundeinfache Handlung war glorreich und tiefgründig, wenn er sie vornahm. Wie in filmischer magischer Zeitlupe dreht er sich zu ihr um und lächelt, während sie zusieht. Er wirft eine Karottenspitze in ihre Richtung. Spielerisch, heiter, angenehm.

zu halten

Sie konnte spüren, wie sein Blick ihren Hinterkopf, ihren Nacken, ihren Rücken erwärmte. Nein, warte, das war ja letzte Woche. Wie spät ist es jetzt, 6 Uhr? Sie konnte draußen das Klirren von Milchflaschen hören, ja, sechs, es muss sechs sein. Beobachtete er sie noch immer? Überprüfte sie. Beurteilte sie. Nach dem Tag, an dem sie ausgerutscht war und zu erwähnen vergessen hatte, wohin sie gehen wollte, war die Lage angespannt. Wen sie treffen wollte? Was sie so tat? Alles ganz unschuldig, aber danach war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war. Sie dreht sich im Bett um und zieht die Decke über ihren Kopf. Der Geruch des Bettlakens erinnerte sie an die Rosenblüten, die er darüber gestreut hatte, als sie zusammen das Bett gekauft hatten. Sie fand das eigentlich ein bisschen zu viel, eine romantische Geste, sicher, vielleicht genau das, was man tun sollte, überhaupt nicht originell. Ein bisschen kitschig sogar. Aber jetzt wären vielleicht ein paar Blütenblätter, nein, denk nicht darüber nach, sag es ihm einfach.

ich

War er diesmal für immer gegangen, oder war dies nur eine weitere seiner Drohungen, die in letzter Zeit immer häufiger vorzufallen schienen. Sie hatte sich sogar darüber lustig gemacht, dass es seine Zeit im Monat war und nicht ihre, da sich seine Stimmungen zu sehr nach dem Mond richteten. "Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag", würde er sagen, und seine Augen würden "Ich liebe dich" sagen, sagen würde er "Du bist die Einzige, die ich will", und seine Augen würden sagen "Ich fühle es heute nicht", und er würde sagen "Ich werde für immer mit dir zusammen sein", er würde sagen "Es liegt nicht an dir, es liegt an mir", und er würde sagen "Du bist bezaubernd", und seine Augen würden sagen "Du gehörst mir", „Du gehörst mir“, würde er sagen, und seine Augen würden sagen "Ich gehöre dir", und seine Augen würden sagen "Ich will", und seine Augen würden sagen "Ich will nicht".

zum Schlechteren hin

Sie spürte auf ihrer Wange die Härte, die ihre Haut platt drückte.

Die kalten Porzellanfliesen ließen die Flanke ihres Gesichts und ihrer Brust gefrieren.

Sie merkte, dass sie das Unterhemd trug, das er ihr geschenkt hatte.

Die Klebrigkeit und der Salzgehalt vermischten sich.

Sie sickerten über ihren Nasenrücken und die andere Wange hinunter.

Die Uhr am Herd zeigte jetzt 12 an.

zu haben

Deine Bedürftigkeit war erstickend. "Komm und sieh dir an, was ich jetzt mache", "hey, mach mit", "schau dir das an". "Was denkst du?" "Wie steht mir das?" Niemals kann man mich einfach sein lassen. Mich ich sein lassen. Du bist jetzt im Badezimmer. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis du mich zu dir bestellst, um dir beim Baden zuzusehen. Ach, wirklich? Das hat früher mal Spaß gemacht. Wir haben dort stundenlang geplaudert. Ich saß auf der Toilette, du in der Badewanne, das war romantisch. Ja, das war es.

Ich habe dich oft vom Boden aufgesammelt. Ich fand dich krabbelnd wie ein Baby und auch heulend vor, "was ist in dich gefahren?", dachte ich, "das ist einfach nur pathetisch", dachte ich. "Du sollst doch stark sein", dachte ich. Rein äußerlich war ich mitfühlend, und dennoch befand ich mich im Inneren meiner selbst. Ich wollte eine Meile weit bis hinein in die Arme eines anderen rennen, eines Feuerwehrmannes, eines Mitglieds der Küstenwache oder eines Zimmermanns, eines Retters aus dem Kino, du weißt schon, der Typ, der dich rettet. Der dich auf breiten Schultern zu einer Blockhütte in der Wildnis trägt und mit der Hand das Holz für das Feuer hackt. Verdienen wir das nicht alle? Es wurde so versprochen. Nicht andersherum. Immer lese ich von dir die Teile auf, die du auf den Boden wirfst.

Ich spucke dich an in meinem betrunkenen Zustand. Du spuckst mich an in deinem nicht betrunkenen Zustand.

Lauter emotionale Koma-Anfälle vor dem Hintergrund des neuesten Videospiels der Saison, und Junge, es gab immer eine neue Saison.

Kannst du nicht einfach mit mir reden, wenn ich dich frage, was los ist. Was denkst du? Was willst du?

"Zu viele Fragen", sagst du, "nicht jetzt", sagst du, "es ist die Arbeit", sagst du, "lass mich in Ruhe", sagst du.

"Das ist anstrengend", sage ich.

zur Bereicherung

Du fährst mit deinen Fingern über meinen Körper, die allerleichteste Berührung. Wie eine winzige Spinne, die den Ausguss hinaufklettert.

Das Fleisch meines Fleisches wärmt sich an deinem, kribbelt im Sonnenschein. Picknicks im Park mit Sprudelwasser. Dein Lächeln, mein Lächeln. Mein Herz ist raus aus meinem Körper und überschattet die ganze Erde. Sterne leben in deinen Augen und ruhen auf mir. Wir sind die Galaxie und unsterblich. Die Zeit ist stehen geblieben, und wir haben in diesem Moment alles, was wir jemals brauchen werden. Dein Atem in meinem Nacken, deine Hand in meiner. Wir berühren uns immer wieder und werden niemals loslassen wollen, wie Magnete werden wir immer aneinander haften.

Ich fühle mich so, als hätte ich dich erträumt, fühle, dass du nicht real bist, ein Hirngespinst meiner Phantasie. Mein anderes Alter Ego, bei dem ich mich darauf verlassen kann, dass es bei mir ist, mich tröstet, immer. Ein Fragment, das so gut wie ein Schlüssel in die Lücke passt, die meine Existenz darstellt, dass wir irgendwann zu einem Wir werden. Vor dir lief ich mit verbundenen Augen herum, und jetzt sind die Welt und meine Zukunft klarer, heller, lebendiger. Du bist mehr, als ich mir jemals wünschen könnte. Wenn ich schlafe, möchte ich niemals aus dieser Glückseligkeit erwachen.

Ich wache auf.

von diesem Tag an

Im kalten Licht des Tages starre ich dich an, während du neben mir schläfst. Du stößt mich ab, ich sehne mich nach dir. Du schimpfst mit mir, ich schimpfe mit dir. Wir sagen uns unfreundliche Worte, die wir nicht meinen, aber wir tun es trotzdem, und so blutet es tief in uns selbst. Wir vertragen uns wieder. Wir sollten noch etwas mehr davon probieren. Ein kriegerisches Tauziehen beginnt. Neue Seile hängen zwischen uns. Die Tage der Abwesenheit werden länger, wir schreiten leicht umeinander herum, sprechen kaum. Ein Nicken hier, ein halbes Lächeln dort. Wir verbringen unsere Abende vor den Bildschirmen, um Gespräche zu vermeiden, verwenden Silben, für die wir keine Sätze haben. Fotos halten die glücklicheren Zeiten fest, an die wir uns nicht mehr erinnern.

Und schlussendlich bricht der Ast, und an diesem Tag wirst du gehen, und du WIRST gehen, und wenn du gehst, werde ich versuchen, dich aufzuhalten. Zum allerletzten Mal. Ich weiß, du solltest besser gehen, aber ich kann dich nicht gehen lassen. Ich werde dich packen und dich zu mir zurückziehen, ich werde mich mit aller Kraft bemühen, dich in mich aufzunehmen, damit du ohne mich nicht existieren kannst, nicht außerhalb von mir oder überhaupt irgendwie.

Ich werde hinfallen, wenn du mich wegstößt. Ich werde wieder die Hand ausstrecken, dir nachlaufen und hinfallen, ich werde hart auf jene Fliesen fallen. Meine Perlen werden in Stücke zerbrechen, während die Hand, die sie hält, sich verrenkt und nach unten greift, um den Sturz abzufedern. Ich werde auf dem Boden da aufschlagen und schluchzen. Du wirst auf mich herabschauen, mit Bedauern, mit Abscheu, mit Sehnsucht und mit den letzten verbliebenen Resten von Liebe.

Du wirst bleiben wollen, mich vom Boden aufheben, mich wieder in die Arme nehmen und meinen Kopf streicheln, während ich deinen Hals küsse, doch wirst du trotzdem gehen.

Lieben

Als die Tür hinter dir zuschlägt, flüstere ich zwischen meinen Atemzügen, die nach der wenigen verbliebenen Luft schnappen, die noch im Raum ist, "komm zurück", nicht laut genug für dich, dass du es hörst, da ich ja weiß, dass es besser ist, wenn du es nicht zu hören bekommst.

Es war 10 Uhr morgens.

..., denn man weiß ja nie ist eine Neuinterpretation in schriftlicher Form des Gedichtfilms Never Say Never Say Never, der 2016 veröffentlicht wurde. Das Stück erforscht die Momente, auf welche die beiden Protagonisten während ihrer Beziehung zugesteuert sein könnten, und dazu das letztendliche Scheitern dieser Beziehung, das durch den Film angedeutet, durch das Gedicht inspiriert wurde. Die Protagonisten, die hier erforscht werden, sind rein fiktiv und stehen in keiner Weise für wahre Ereignisse, die zur Niederschrift des Gedichts oder zur Übernahme der Filmregie geführt haben könnten. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig.

Never Say Never Say Never ist ein Gedichtfilm von Adele Myers, inspiriert vom Originalgedicht von Patrick Errington.

Das Gedicht wurde bei der National Poetry Competition 2016 der Poetry Society (GB) ausgezeichnet. Der Film wurde von FilmPoem in Auftrag gegeben, und die ursprüngliche Videoadaption wurde vollständig in Fujairah (VAE) produziert.

Sehen Sie sich den Film hier an:

Adele Myers ist Künstlerin und Filmemacherin; sie lebt in Fujairah (VAE), wo sie Filmregie als Hauptfach im Rahmen des HCT-Programms für angewandte Medien unterrichtet.

Ihre eigene filmische Arbeit schließt die Produktion von Gedichtsverfilmungen mit ein. Diese Filme wurden international auf Film- und Literaturfestivals sowie in Kunstgalerien gezeigt, einschließlich einer Retrospektive zu Myers' Arbeit im Dimensions Arts Centre in Chongqing/China.

Zu den hier erwähnten Festivals zählen in Großbritannien das London Short Film Festival und das Bristol Encounters Short Film and Animation Festival, Underwire, BAFTA Marketplace und Kendal Mountain Film Festival, in anderen Ländern wiederum das Zebra Poem Film Festival, das PoesieFest, Tarp, IndieCork, das Cyclop Festival, das Ginsberg Film Festival und das World of Women Festival in Dubai.

2014 und erneut im Jahr 2017 wurde Myers eingeladen, für den renommierten National Poetry Prize der Poetry Society ein Werk zu schaffen, worin sie das Ausdrucksmittel des Tanzes benutzt, um die Formen und den Rhythmus poetischer Motive zu erkunden. Never Say Never Say Never ist ihr zweiter Gedichtfilm, den sie für The Poetry Society geschaffen hat.

Außerdem ist Myers Gründungsmitglied und künstlerische Leiterin von Bokeh Yeah!, eine Agentur, die ursprünglich als DSLR Film Academy in Manchester gegründet wurde und Video- und Produktionsschulungen, Networking und Verfilmungsmöglichkeiten für in Großbritannien angesiedelte Kreative bietet. Die Gruppe hat unter Myers' Leitung zahlreiche Gedichtfilme und Musikvideos produziert, die internationale Anerkennung gefunden haben. Seit ihrem Umzug in die Vereinigten Arabischen Emirate hat sie die pädagogischen Ideen der Gruppe angepasst, um sowohl in China als auch in Simbabwe Gedichtfilm-Workshops zu betreuen. Derzeit erforscht sie neue Formen des Erzählens in Film und Literatur.

Kommentare ()

  1. Petja Zeitz 15 Januar 2022, 11:14(Der Kommentar wurde bearbeitet) # 0
    Sehr gut gemacht! Schlicht und dabei wunderschön. Berührt mich sehr.

    Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Kommentare werden erst nach Moderation freigeschaltet.