Zurück zur Natur: Rückkehr zum Leib
We are nature – defending itself
Das mediale Bild von sozialen Bewegungen oder Umweltprotesten wird von Körpern geprägt. Protest als Medienereignis bedient sich der Körper als Medium. Bei Demonstrationen mit Tausenden von Menschen, die gegen Castortransporte oder Datenüberwachung aufbegehren, für höhere Löhne oder gegen Corona-Maßnahmen zusammenkommen, als Occupy-Aktivisten oder Gelbwesten ihrem Unmut über Ausbeutung und soziale Missstände Ausdruck verleihen. Noch deutlicher wird die Bedeutung des Körpers als Protestmittel dann, wenn er selbst zur Artikulationsfläche, zum Banner, zum Manifest wird, wie bei den spektakulären Aktionen der Gruppe Femen, deren Aktivist:innen mit oberkörperfreiem Protest seit Beginn der 2010er-Jahre die mediale Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es ist zumeist der weibliche Körper, der vor allem seit den 60er-Jahren den Protest gegen herrschende gesellschaftliche Normen artikuliert und visualisiert. Viel seltener dagegen „pendeln […] die Penisse“ (Kotte, 2015, S. 1). So etwa bei den Femen-Protesten: Selten waren hier auch Männer mit von der Partie. Eine Live-Sendung des Moderators Markus Lanz im Jahr 2013, dessen damalige Talkrunde sich mit Fußball (sogenannte Männerdomäne) beschäftigte, ist eine Ausnahme. Die von Medien als „nackter Protest“ (Spiegel, 2013) titulierte Aktion von zwei Frauen richtete sich gegen die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2022 an das Emirat Katar und die dortigen schweren Menschenrechtsverstöße. Die beiden männlichen Begleiter der Frauen trugen derweil T-Shirts und ihren Protest auf Pappschildern in die Fernsehöffentlichkeit. Während Sicherheitsmänner (echte Männerdomäne) die Frauen aus dem Studio drängten, durfte einer der bekleideten Begleiter politische Forderungen ins Mikrofon sprechen. Eine bemerkenswerte Rollenverteilung, die vermutlich nicht nur der Hektik im TV-Studio geschuldet war.
Es soll hier aber nicht in erster Linie um die Bedeutung des nackten Körpers bei Protesten und Demonstrationen gehen. Bei den Betrachtungen soll die Leiblichkeit in den Vordergrund rücken, so wie die Soziologie den Leibbegriff unter Bezugnahme auf den phänomenologischen Grundbegriff verwendet. Während man einen Körper hat und ein solcher ist, ist der Leib Mittel des Zur-Welt-Seins im Sinne von Merleau-Ponty (vgl. Schuhmacher-Chilla, Doris, 2013/2012) und Leiblichkeit Ermöglichung und Begrenzung von Erkenntnis. „Ein leibliches Selbst erlebt sich hier/jetzt in Beziehung zu seiner Umwelt.“ (Lindemann, 2017, S. 58). Wenn es im Folgenden nun um die Bedeutung von Gender/Diversität im (körperlichen) Protest gegen Umwelt- und Naturzerstörung geht, dann vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich in der modernen Naturbeherrschung und -zerstörung eine Selbstberaubung (vgl. Lippe, 1988, S. 16f.) des Menschen äußert, die nur durch eine Rückkehr zum (beseelten) Leib heilbar wäre; durch die Zertrennung des Körper-Leib-Seele-Bands durch Descartes‘ Cogito ergo sum ist dieser jedoch zur „Leiche“ (Horkheimer & Adorno, 1996. S. 248) geworden, eine vollständige Heilung also im Grunde unmöglich.
Sozialer Protest ist immer auch ein Protest der Körper – wobei einem medialen Naturgesetz folgend Sichtbarkeit durch Sensation (Sinneswahrnehmung, Aufsehen erregen) gesteigert wird: „Ohne sichtbaren Protest gibt es keine soziale Bewegung“ (Roth & Rucht, 2008, S. 26). Der Körper ist Instrument des politischen oder künstlerischen Protests – mal bekleidet, mal nackt. Sei es im Kampf gegen Krieg oder Repression (man denke nur an das ikonische Foto von jenem heroischen Menschen vor der martialischen Panzerkolonne auf dem Tiananmen-Platz in Peking). Sei es im Widerstand gegen Sexismus oder Diskriminierung, gegen Rassismus oder gesellschaftliche Konventionen, wie es vor allem die 68er-Bewegung inszeniert hat. Ob Tier- oder Umweltschützer, Radfahrer oder Hausärzte – es wird überall mit viel Körpereinsatz protestiert, und spätestens seit den kalkuliert-provokanten Auftritten der ukrainischen Femen-Aktivistinnen ist dabei auch immer mehr Haut im Spiel. Interessanter als das pure „Blankziehen“, das der Aufmerksamkeitsökonomie der von Werbung durchsättigten Medien- und Konsumgesellschaft folgt und dabei auch die Schwelle zum pornografischen Einsatz für den guten Zweck überschreitet, wenn Umweltaktivist:innen gegen Geld öffentlich oder im Netz für den Erhalt des Regenwalds kopulieren (Fuck for Forest), scheint die oben angesprochene „Rollenverteilung“ zu sein und davon ausgehend die Frage nach den Bezügen von Gender und Diversity zur Debatte über den Erhalt der (ökologischen) Biodiversität.
Gerade bei Umweltprotesten bringen Aktivist:innen ihre Körper zum Einsatz: bei Baumbesetzungen wie im Dannenröder Wald in Hessen, bei spektakulären Abseilaktionen oder beim Anketten an Gleise auf Castorstrecken. Solch spektakulären Aktionen ist stets die Frage nach „Geschlechterkonstruktionen in Umweltdiskursen“ (Bauriedl, 2015, S. 101) und der Tragweite der „Geschlechterdualismen“ inhärent. Wenn „Naturwahrnehmung und Naturnutzung […] [sowie Naturzerstörung, der Autor] durch gesellschaftlich normierte Geschlechterrollen bedingt [sind] und umgekehrt […] Geschlechterverhältnisse wiederum spezifische Strukturen gesellschaftlicher Naturverhältnisse hervor[bringen]“ (Bauriedl, 2015, S. 101), kann Umweltprotest nicht ohne eine Debatte über Diversity und Gender funktionieren.
Ein Begriff, der seit einigen Jahren auch in Deutschland die Runde macht, legt das besonders nahe: Biodiversität. Er bezeichnet die biologische Vielfalt – die Vielfalt der Ökosysteme, die Vielfalt der Arten und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Artensterben und die durch die Klimakrise unter Druck geratenen Ökosysteme haben den Begriff populär gemacht. Der Diversity-Diskurs und die Debatte über die ökologische Biodiversität haben zahlreiche Bezugspunkte (vgl. Katz, 2020). Dennoch wird in den zumeist ökonomisch dominierten Debatten der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Geschlechterverhältnissen sowie Diversität weitgehend übersehen (vgl. Schmitz, 2008, S. 17). Schon die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse in den Beziehungen zwischen Mann und Frau – deren Analyse weitgehend einem Geschlechterdualismus verhaftet bleibt – werden kaum untersucht, wenn es um die Nutzung der, den Zugang zu und die Kontrolle über die Ressourcen und den Schutz der Umwelt geht. In Ländern des globalen Südens, aber auch im Norden sind nach wie vor hauptsächlich Frauen für die Versorgung der Familien mit Grundnahrungsmitteln verantwortlich. Den ökologischen und ökonomischen Diskurs aber dominieren (weiße) Männer; in der Praxis besorgen sie die Ausbeutung des Planeten gleich mit. Soziale Dimensionen werden zumeist ausgeblendet. Erst recht liegt das Feld brach, wenn es um komplexere Konzepte, um Gender- und Diversity-Fragen geht. (Da, wo Ungleichheitsverhältnisse derart komplex auftreten, braucht es daher einen intersektionalen Untersuchungsansatz.) Es gilt, den Wechselwirkungen und Verschränkungen verschiedener Ungleichheitsdimensionen auf die Spur zu kommen und soziale und ökologische Fragen miteinander zur verknüpfen. Die Diskurse über Biodiversität, Diversity und Gender bieten dazu Ansätze. Vielfalt und ihre Sichtbarmachung, ihre Verkörperung und ihre Anerkennung ist eine conditio sine qua non für den Erhalt von Biodiversität und Natur. Und selbst wenn Vielfalt Trennendes sichtbarer macht, trägt sie zum Verstehen, zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit bei. Sie führt nicht zurück zum Leib, d.h. sie kann nicht die Degradierung des Körpers gegenüber dem Geist und damit seine Objektivierung zum Forschungsgegenstand samt seiner Vermessung in den Wissenschaften rückgängig machen, legt jedoch im Zuge dessen zugleich die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verstümmelungen offen und zusammen mit ihnen die Hoffnung auf Wiederzusammenfügung und den Wunsch nach (seelischer) Heilung – wie etwa ein nackter Körper seine Wunden offenbart. Auch wenn die Rückkehr zum Leib unerfüllbar bleibt, eröffnen die kategorisierten Körper die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit ebendiesen Differenzen und damit einen Weg zu mehr Gleichheit.
Literatur:
Bauriedl, Sybille (2015). Geschlechterkonstruktionen in Umweltdiskursen – Verfestigung und Aufweichen von Geschlechterdualismen. In (Hrsg.) Katz, C., Hellmann, S., Thiem, A., Moths,K. Koch, L. M. & Hofmeister, S. (Hrsg.), Nachhaltigkeit anders denken. Veränderungspotenziale durch Geschlechterperspektiven (S. 101-113). Springer.
Horkheimer, M. & Adorno, T. W. (1969). Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente. Fischer Verlag.
Katz, C. (2020). Funktionalität und Störung in der Ökologie: Eine genderanalytische Betrachtung. Studie, Teil 3, im Rahmen des Projektes „Caring for natures?“ Geschlechterperspektiven auf (Vor-)Sorge im Umgang mit „Natur/en“. https://www.diversu.org/wp-con...
Kotte, H.-H. (2015, 20. Februar). Das ist doch blanker Aktionismus. Raus aus den Klamotten, rein in den Protest. Blank zu ziehen, ist bei politischen Aktivisten seit jeher ein beliebter Aufmerksamkeitsbeschleuniger. fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.fluter.de/das-ist-...
Lindemann, Gesa. (2017) Leiblichkeit und Körper. Gugutzer R., Klein G., Meuser M. (Hrsg.) Handbuch Körpersoziologie. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-...
Lippe, R. zur (1988). Vom Leib zum Körper. Naturbeherrschung am Menschen in der Renaissance. Rowohlt.
Roth, R. & Rucht, D. (Hrsg.) (2008). Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945 - Ein Handbuch. Campus Verlag.
Schmitz, J. (2008). Gender, Klimawandel und Biodiversität. Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Geschlechterverhältnissen. arranca!, 38 (S. 17-18). https://arranca.org/archive?pa...
Spiegel (2013, 12. Dezember). Nackter Protest gegen Fußball-WM in Katar. https://www.spiegel.de/panoram...
Kommentar schreiben
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Kommentare werden erst nach Moderation freigeschaltet.
Kommentare ()