Magazine for Sexuality and Politics

Black Families Matter

Susanne Schade

Welche Schwierigkeiten sich aus der Verflechtung der Differenzkategorien race und Trauma ergeben, zeigt uns Robin D. Stone in ihrem Buch „No Secrets, No Lies – How Black Families Can Heal from Sexual Abuse“. Sie macht auf ein Thema aufmerksam, das in der Gesellschaft, vor allem aber auch in politisch anti-rassistischer Arbeit alle Beteiligten vor enorme Herausforderungen stellt.

In sensibel geschriebener Weise drückt Stone aus, worüber viele schweigen, um nicht noch mehr ausgegrenzt zu werden oder als rassistisch zu gelten: der Umgang mit sexuellem Missbrauch in Schwarzen Familien.

Grundsätzlich muss anfangs erwähnt werden, dass sexueller Missbrauch in allen Gesellschaftsschichten, von allen Gendern und in allen Kulturen vorkommt. Eine amerikanische Studie, die Stone zitiert, legt nahe, dass Missbrauch vor allem in unterprivilegierten Gruppen, also unter armen Menschen auftritt (Stone, 2004: 16). Auch Angela Davis entlarvt den Mythos des Schwarzen Vergewaltigers als Unterdrückungsverhältnis, in diesem Fall als Übergang von Sexismus in Rassismus, für den es keine empirische Basis gibt (Davis, 2022).

Stone schreibt: „Unsere Familien sind nicht mehr oder weniger dysfunktional als die anderer Rassen oder Ethnien. Aber wir können die Auswirkungen der Sklaverei und des systemischen Rassismus auf unsere Familiendynamik nicht hoch genug einschätzen, und wie die immer noch weit verbreitete Angst vor institutionellem Rassismus und seinen Vertretern unsere Familien davon abhält, Missbrauch bei den Behörden anzuzeigen.“ (2004: 53).

Oftmals entsteht in Familien, in denen es entweder durch ein Familienmitglied oder einen Verwandten zu sexuellem Missbrauch kommt, eine Spirale des Schweigens, die dazu führt, dass der Täter oder die Täterin geschützt werden. Das Familiensystem hält die krankmachende Dynamik aufrecht und findet keine Wege, das Opfer zu beschützen und den Täter oder die Täterin in die Schranken zu weisen bzw. aus dem Familiensystem auszuschließen. Diese krankmachende Dynamik traumatisiert das Opfer ein zweites Mal oder weitere Male über den eigentlichen Übergriff hinaus.

In Schwarzen Familien besteht nach außen hin der Wunsch zur Gesellschaft dazuzugehören, so grundlegend wie für jeden Menschen. Nur ist dieser Wunsch verflochten mit Erfahrungen von Rassismus. Die Zugehörigkeit muss viel härter erkämpft werden als bei weißen Menschen, die keine Kränkung durch Rassismus erfahren, oder anders gesagt: denen nicht immer und immer wieder deutlich gemacht wird, dass sie nicht dazu gehören sollen. In Schwarzen Familien entsteht dadurch große Angst und Scham, nicht den Erwartungen an eine Ideal-Familie gerecht zu werden und/oder eine Angriffsfläche zu bieten, die rassistische Vorurteile nährt.

Es besteht „wenig Vertrauen in soziale Institutionen“, der „Wunsch Schwarze Männer zu unterstützen“ und die Familienangelegenheiten aus der Öffentlichkeit rauszuhalten (Stone, 2004: 59).

Viele Opfer haben Angst das Schweigen zu durchbrechen, weil sie glauben, dass ihnen dann niemand in der Familie glauben wird, dass die Mutter sich schuldig fühlen würde, dass sie als Kind abgelehnt werden und die Liebe der Eltern verlieren, dass die Familie verletzt werde, dass sich der Täter umbringen werde oder ins Gefängnis komme (Stone, 2004). Viele Opfer wenden sich nicht an das Helfer-System, weil sie selbst sehr große Scham und Schuldgefühle haben. Sie beginnen sich selbst in Frage zu stellen, bagatellisieren den Vorfall, leugnen, was geschehen ist, oder geben sich selbst die Schuld für den Übergriff.

Aber diese Strategien können für eine Heilung nicht hilfreich sein, sondern führen zu einer Vielzahl von leidvollen Erfahrungen wie einer Posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen, Ängste, Mangel und Verlust von sexuellem Verlangen, Somatisierungen oder auch Sado-Masochismus. Ein Weg der Heilung ist sicherlich die Psychotherapie. Stone verweist darauf, dass Schwarze Menschen sich häufig einem/einer Therapeut*in gegenüber sehen, die/der keine Ahnung von der Komplexität der Kultur, Geschichte und den Herausforderungen Schwarzer Menschen hat, sondern aus einer weißen Mittelschichtperspektive kommt (Stone, 2004). Es ist für Therapeut*innen oft nicht nachvollziehbar, welche Rolle spirituelles Denken oder die Betonung eines „Wir“ statt eines „Ich“ in der Erfahrungswelt von Schwarzen Menschen spielen (ebd.).

Das elitäre Bildungssystem hat bisher zu wenig die strukturelle Benachteiligung von Schwarzen Menschen adressiert, die weniger Zugang zu einem Psychologie- oder Medizinstudium oder der Therapeutenausbildung haben, sodass die Anzahl von nicht-weißen Kolleg*innen, die als Therapeut*innen arbeiten, verschwindend gering ist. Therapeutische Arbeit benötigt daher eine intersektionale Perspektive, um die Verflechtungen der Differenzkategorien race, gender und class stärker herauszuarbeiten und Menschen besser in der Komplexität ihrer Erfahrungswelt verstehen zu können.

Auf einer politischen Ebene muss es vielmehr darum gehen, die Bedürfnisse von Schwarzen Familien stärker in Aufklärungskampagnen einzubeziehen, damit die Hürde, Hilfe zu suchen, für die Opfer geringer wird. Anti-rassistische Arbeit muss auch dort ansetzen, wo viele schweigen und nicht hinschauen wollen, weil sie fürchten, mit den Rechten in eine Ecke gestellt zu werden. Es müssen unbequeme Fragen gestellt werden und Gewalt muss besprechbar bleiben, auch wenn sie von Menschen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren, ausgeht. Oft wird auch vermieden, Rassismus in Beziehung zu patriarchalischen Strukturen zu setzen und die besonderen Dynamiken der Verflechtungen von race, class und gender zu betrachten: „Rassismus ist insofern mit dem Patriarchat verbunden, als der Rassismus farbigen Männern die Macht und die Privilegien verweigert, die dominante Männer genießen“ (Crenshaw, 1995: 362).

Insofern kann therapeutische Arbeit nie unpolitisch sein, sondern ist meinem Verständnis nach in ihren Grundzügen immer auch anti-rassistisch.

Literatur:

Crenshaw, K. W. (1995). Mapping the Margins: Intersectionality, Identity, Politics, and Violence against Women of Color. In: Crenshaw, K., Gcotanda, N., Peller, G. & Kendall, T. (Hrsg.). Critical Race Theory (S. 357-383). The New Press.

Davis, A. (2022). Rassismus, Sexismus und Klassenkampf. Unrast Verlag.

Stone, R. D. (2004). No Secrets, No Lies – How Black Families Can Heal from Sexual Abuse. Harlem Moon.




Fotos: Startseite + Header: Ehimetalor Akhere Unoabona (unsplash)

Kommentare ()

    Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Kommentare werden erst nach Moderation freigeschaltet.