"I will nicht, was ich bekomme"
Eine Kolumne über Narzissmus und Sexualität
Viele Menschen kennen das, es fliegt ihnen alles zu: der Partner ist engagiert, hat Schmetterlinge im Bauch und betrachtet die Welt durch die rosarote Brille. Doch irgendwie will sich das Gefühl bei manchen Menschen nicht ebenso einstellen. Was ist da nur los? Es passt doch vieles, die Liebesbemühung des anderen prallen ab: weil man das, was man bekommen kann, nicht will.
Getreu der Devise, je schwerer, desto besser, machen sich also viele Menschen auf die Suche nach der nächsten Herausforderung, nach dem nächsten Kick bei der Jagd nach jemandem, bei dem sie sich nie sicher sein können, von dem sie abgelehnt werden, bei dem sie auf Widerstand stoßen. Denn oftmals macht nur der Widerstand den Reiz aus. Warum ist das eigentlich so, dass Menschen alles sammeln, was ihnen Bestätigung verschafft?
Das Phänomen lässt sich nur verstehen, wenn man sich die politischen und ökonomischen Bedingungen der Gesellschaft vergegenwärtigt. Im Prinzip treten sich Menschen entfremdet gegenüber: sie stehen in vielfacher Konkurrenz zu einander. Oftmals geht es um ein Du oder Ich, oder darum, inwieweit der andere zum eigenen Fortkommen beitragen kann. Da der Austausch das vorherrschende ökonomische Prinzip ist, wird die Beziehung der Menschen zueinander nicht mehr an Wünschen, Begehren oder Bedürfnissen orientiert, sondern wird zu einem dinglichen Verhältnis.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Partnerwahl dann auch so erfolgt, dass der andere zur eigenen Größe beitragen soll. Da das Ich sosehr nicht auf Augenhöhe ist, weil es ja in der Gesellschaft ja nicht um die Bedürfnisse der Menschen geht, versucht es diesen Mangel gerade zu rücken. Das Ich, dass als klein und nichtig empfunden wird, weil es um es nun einmal in dieser Gesellschaft nicht um das Ich geht, verschafft sich fortwährend ein größeres Objekt, zu dem es aufschauen kann, aus dem es Gratifikation ziehen kann, um so die eigene Unzulänglichkeit zu kompensieren.
Je mehr Menschen also kämpfen müssen, um den anderen für sich zu gewinnen, je stärker entwerten sie auch andere Menschen und entleeren sich dabei ihrer eigenen Bedeutung bis hin zu einem Leergefühl. Einer der bedeutendsten Psychoanalytiker Otto Kernberg schreibt das folgendermaßen: „Das ist eben die Tragik dieser Menschen, dass sie […] so viel von anderen brauchen, aber das, was sie bekommen, gar nicht anerkennen können, weil es sie sonst zu neidisch machen würde“ (Kernberg, 1983/2014, S. 273).
In Grunde genommen geben Menschen in diesen narzisstischen Beziehungen damit ihrem auserkorenen Objekt auch ziemlich viel Macht in die Hand, denn sie machen sich von dessen Anerkennung abhängig und können nur so ihr eigenes Ich stabilisieren.
Mai 2018
Image: Unsplash: Aleksandr Popov, 2024
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