#Menschen, Leben, Freiheit - Wo gehöre ich hin?
Meine persönliche Geschichte begann 1970 in Münster in Deutschland. Ich wurde als Kind iranischer Eltern geboren, die Cousins und Cousinen zweiten Grades waren, und zwar durch eine arrangierte Ehe, die auf einem System des gegenseitigen Vertrauens und der Loyalität gegenüber der Familie beruhte. Bald nach meiner Geburt zogen wir für fünf Jahre nach Teheran. Nach der Scheidung meiner Mutter zog meine gesamte Familie – Großeltern, Onkel, Tante, Cousine, Mutter, Schwester und ich – im August 1977 in die Vereinigten Staaten. Zunächst bis 1985 nach Salt Lake City, Utah, und dann in ein wärmeres Klima nach Atlanta, Georgia, um näher bei der Familie meines Großonkels zu sein. Die Absicht war, mit meinen Großeltern zusammen ein Unternehmen zu gründen. Meine Familie und Großfamilien haben Erwartungen und Loyalität, unabhängig davon, ob sich die Mitglieder mögen oder nicht.
Als wir in die USA kamen, kannten wir nur Iraner und hatten nicht viel Kontakt zu Amerikanern. Wir behielten unsere Stereotypen über die Amerikaner bei, so wie sie ihre Stereotypen über uns beibehielten. Während der iranischen Revolution wurde der Diskurs in der amerikanischen Kultur sehr feindselig gegenüber Iranern. Einmal wurde meiner Cousine, die erst 14 Jahre alt war, in der Schule ein Kuchen ins Gesicht geworfen. Mein Großvater hatte auch nicht die Absicht, Englisch zu sprechen. Meine Familie in der persischen Diaspora war also das Zentrum meiner Welt als Kind. Für die meisten in der Familie ist das bis heute so geblieben, und es gibt kaum amerikanische Freunde. Es ist also unvermeidlich, dass die Familie das Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt und man versucht, sich in die Rolle einzufügen, die sie einem zuweist. Nur selten ist es den Menschen erlaubt, ihr wahres Ich oder mehr Authentizität zu zeigen. Wir sind alle voneinander abhängig: Man wird ein Teil des Kuchens und nicht der Kuchen. Das Kollektiv – die Familie – ist das, was in diesem rassistischen Umfeld zählt. Es geht nur darum, wie die anderen Menschen um dich herum dich fühlen lassen. Wenn ich an andere denke und nicht an mich selbst, bin ich ein selbstloser Mensch und fühle mich der Familie zugehörig, und das wird sehr geschätzt.
Heute empfinde ich jedoch das genaue Gegenteil, weil ich die Erwartungen der anderen nicht mehr erfüllen möchte. Seit meiner Krebsdiagnose (vor drei Jahren) bin ich emotional unabhängiger geworden und fühle mich nicht mehr so sehr meiner Familie zugehörig. Die Tatsache, dass ich 2015 nach Berlin gezogen bin, markiert den Prozess der Loslösung von meiner Familie. Durch meine Freundschaften konnte ich ausdrücken, wer ich wirklich bin, und meine eigenen Werte und mein eigenes Leben gestalten.
Wenn ich von Berlin aus auf die politische Situation im Iran schaue, sehe ich, dass es sich nicht mehr nur um ein Frauenthema handelt. Es ist viel breiter angelegt. Es ist ein Menschenrechtsthema. Wie viele junge Männer sind getötet worden, wie viele Mädchen zwischen 14 und 20? Wenn ich von hier aus durch Tik Tok zuschaue, bin ich stolz auf die junge Generation, weil sie sich erhebt: Sie will der Kuchen sein und nicht mehr nur ein Stück. Sie wollen zu ihren Freunden gehören und nicht nur ihrer Familie Untertan sein. Es ist ein Akt der Emanzipation, und sie sind dazu in der Lage, weil sie Teenager sind und die Zukunft ihnen gehört.
Die iranische Regierung hat sogar das Internet gesperrt, um die Bewegung zu unterdrücken. Sie wollen nicht, dass die Welt davon erfährt. Dennoch kann man auf Tik Tok unter den Hashtags #Masha Amini und #freeiran junge Frauen sehen, die darüber sprechen, wie sie sich gefangen fühlen. Sie wollen nicht mehr dort sein, also wollen sie tragen, was sie wollen. Viele von ihnen sprechen über Kleidung, die ihre Kritik am Regime symbolisiert, oder darüber, wie sie ihre Haare geschnitten haben. Bei den Demonstrationen gibt es auch viele Männer, die zum ersten Mal Frauen unterstützen. Sie sind im gleichen Alter wie die Frauen, und die Bewegung wächst und wächst.
Für alle, die wie ich außerhalb des Landes leben, ist es schmerzhaft, das zu sehen. Wir fühlen uns ein wenig schuldig, weil die ältere Generation zu still und zu ängstlich war, um sich zu Wort zu melden und einen sozialen Wandel zu bewirken. Die muslimische Religion hat sie in Angst gehalten und sie einer Gehirnwäsche unterzogen, sie gefühllos und unbeweglich gemacht.
Es ist traurig, dass wir nicht so mutig waren wie die Generation Z. Ich sehe den Schmerz und fühle mich verbunden, weil ich immer noch Iranerin bin. Dort gehöre ich hin.
Tik ToK Links:
Fotos: Startseite + Header: Craig Melville (unsplash)
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