Entchristianisierung zur Entkolonialisierung
Nach einer der gewalttätigsten Regierungen, die wir je in unserem Land erlebt haben, waren wir erleichtert, dass die Regierung Bolsonaro nicht wiedergewählt wurde. Trotz dieses Sieges ist der Bolsonarismus nicht verschwunden, im Gegenteil, er ist weiter erstarkt.
Fragt man die mehr als 50 Millionen Menschen, die für Bolsonaro gestimmt haben, nach den Gründen für ihre Entscheidung, so werden die meisten antworten, dass sie dies zur Verteidigung der Familie, der Kirche, für das Ende des Kommunismus, des Homosexualismus und dergleichen getan haben.
Dabei handelt es sich um Millionen von verarmten Menschen, deren Arbeitsbedingungen sich nicht wirklich verbessert haben, ebenso wenig wie ihr Zugang zu Gesundheit, Bildung und Wohnraum. Warum verteidigen sie dann trotzdem diese Regierung?
Die Kraft der christlich-fundamentalistischen Moral ist es, die sie bewegt.
Wenn wir fragen: In welcher Ideologie sind LGBTS zur Hölle verdammt? In der sich die Frauen ihren Männern unterordnen sollten? In welcher Ideologie wurden die Welt und die gesamte Natur für den Menschen geschaffen, um sie zu beherrschen und zu kontrollieren? In welcher Ideologie wird der Hunger geheilt, wenn man „Glauben” hat? Welche Ideologie inspiriert ihre Anhänger dazu, einheimische Gebetshäuser und religiöse Kulte zu zerstören, weil sie glauben, dass ihr Gott der einzig wahre ist und alle anderen zerstört werden müssen? Und die glaubt, dass es nur einen Weg gibt, Sexualität auszuüben (die ihre)? Und das alles im Namen der Liebe, des Guten und des Heils?
Machismo, Schwulenfeindlichkeit, Umweltgewalt, religiöser Rassismus – sie alle haben in unserem Kontext dieselben kolonialen Wurzeln.
Der gesamte Bolsonarismus ist nichts anderes als derselbe christliche Fundamentalismus, der dem Planeten seit 1500 Jahren seine Monokultur aufzwingt.
Diese Verteidigung des Guten, der Liebe, der Familie ist es, die unser Leben durchdringt.
Leider ist ein großer Teil der institutionellen Linken ebenfalls christlich geprägt und verteidigt trotz aller Gewalt, die ihm innewohnt, weiterhin das Christentum. Selbst diejenigen, welche die Gewalttätigkeit des Christentums bereits erkannt haben, verteidigen immer noch das Bild von Jesus. Sie bestehen darauf zu sagen, dass das, was die Kirche, die Rechten und die Fundamentalisten mit dem Namen Jesu gemacht haben, eine beleidigende Abweichung von dem ist, was er wirklich gepredigt hat: Liebe, Vergebung, Nächstenliebe. Die große Falle besteht darin, dass die Gewalt nicht in Hass, Wut und dergleichen besteht, sondern vor allem in dem, was sie Liebe, Gutes, Moral und gute Manieren nennen.
Ja, Jesus ist Liebe. Aber welche Art von Liebe? Er sagte: Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, ist bereits verdammt (zur Hölle) – Johannes 4. Das ist die christliche Liebe, die der Umkehr und des Gehorsams.
Das christliche Heil gibt es nur, weil es die Verdammung gibt; den Himmel, weil es die Hölle gibt; diese Liebe, weil es den Hass gibt.
In gewisser Weise ist der Ausweg aus dem Bolsonarismus einfach, aber gleichzeitig auch komplex.
Bolsonaro garantiert den Wähler*innen nicht durch seine Arbeitsvorschläge, sondern durch seine moralische Aussage, und diese hat mehr Kraft als jedes konkrete Argument.
Darauf sollten wir uns also konzentrieren, denn es ist dringend notwendig, den Wachstum der Monokultur des Glaubens zu bremsen.
Dazu gehört, dass wir aufhören, die koloniale christliche Ideologie zu verteidigen, nach dem Guten und Schönen in ihr zu suchen und ihre Monokultur zu konterkolonisieren. Wer ist dazu bereit?
Möge unsere Zugehörigkeit zu den Kosmogonien des Waldes, der Vielfalt, nicht zum System der Monokulturen (des Glaubens, der Sexualität und der Zuneigung) sein.
Geni Núñez ist eine indigene Guarani-Aktivistin, Schriftstellerin und Psychologin. Sie ist Doktorin des interdisziplinären Postgraduiertenprogramms in Humanwissenschaften (Universidade Federal de Santa Catarina), Master des Postgraduiertenprogramms in Sozialpsychologie (UFSC) und Absolventin des Psychologiestudiums an derselben Universität. Sie ist Mitglied der Brasilianischen Vereinigung indigener Psycholog*innen (ABIPSI).
Foto: Header: Thiago Japyassu (Pexels)
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