Magazine for Sexuality and Politics

Die Angst vor der Klitoris

Ein Beitrag zur Unterrepräsentation von Frauen in der psychoanalytischen Theoriebildung

Dimitrios Chourdakis

Während Freud (1983 [1923]) den phallischen Monismus in den Mittelpunkt seiner Theoriebildung rund um den Ödipuskomplex und (daraus abgleitet) den Kastrationskomplex stellte, gab es neben der Kritik seitens von Feministinnen (vgl. Butler, 2006) und zaghaften Kritiken von Psychoanalytikerinnen (vgl. Horney, 1984 [1936]) auch zahlreiche Psychoanalytiker*innen, die an diesem Konzept festhielten.

So gilt die Frau in der psychoanalytischen Literatur gegenwärtig noch als „Kastrierte“, die, anders als der nicht kastrierte Mann, keine Kastrationsängste zu befürchten hat. In Freuds Konzept der Urhorde, die er als historisch gegeben betrachtete, bedingen Kastrationsängste mindestens eine Person männlichen Geschlechts, die nicht kastriert ist. Dieser Vater der Urhorde wird gestürzt, dennoch aber müssen alle Nachkommen um ihr Geschlechtsteil fürchten, denn der eifersüchtige Vater kastriert.

Dieses Schicksal ereilt Frauen nicht; Frauen müssen keine Angst vor Kastration haben, so heißt es. Wer aber wird in der Realität kastriert? Ausnahmslos Frauen. In archaisch geprägten patriarchalen Gesellschaftsstrukturen sind es die Frauen, die kastriert werden, wie es in einigen afrikanischen Ländern noch heute praktiziert wird. Die lustbringende Klitoris wird entfernt oder verstümmelt, damit die Frau keinen Lustgewinn aus dem Geschlechtsverkehr ziehen kann. Zu groß ist die Furcht davor, dass eine Frau von einem fremden Mann schwanger wird und der Ehemann ein fremdes Kind großzieht.

Auch in patriarchal geprägten Gesellschaften, in denen diese martialisch-körperliche Form der Kastration nicht stattfindet, werden Frauen stärker kontrolliert und ihre Bewegungsspielräume eingeschränkt, um zu verhindern, dass sie ein „Kukuckskind“ in die Familie schmuggeln.

Ehebruch gilt beim Mann als Kavaliersdelikt, während Frauen ungleich strenger sanktioniert werden. Die Freiheiten, die Männer sich zugestehen, gelten mitnichten in gleichem Maße für Frauen - das ist nichts Neues, aber weshalb stützen „aufgeklärte“ Theoretiker*innen nach wie vor dieses misogyne System? Ist es die Angst vor Machtverlust? Darüber ist viel geschrieben worden, weshalb ich auch nicht weiter darauf eingehen möchte.

Mir geht es eher um die Theoretiker*innen, die eine Gleichstellung postulieren, welche bei genauerer Betrachtung aber ein reines Konstrukt erschaffen, indem sie dem phallischen Monismus umgekehrte Vorzeichen geben und damit das misogyne Narrativ übernehmen. Darf man fragen, warum sich überhaupt alles um den Penis dreht; hätten entwicklungspsychologische Phasen nicht auch von der Klitoris abgleitet werden können?

Offenbar ist die Klitoris zu uninteressant. Die Frau ist als Geschlechtsobjekt ein Objekt der Begierde und wird in analytischen Diskursen als Mutter bedeutsam. Die „heilige“ Mutter wird auf die nährende Brust reduziert. Die Klitoris ist ein Organ, das keinen Zweck erfüllt. Ich will damit nicht sagen, dass es den meisten Männern egal ist, ob eine Frau beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommt, aber letztlich scheint es für viele keine große Rolle zu spielen.

Müller-Pozzi (2007) schlägt vor, die Kastration aus der strukturalen Perspektive Lacans (1991 [1958]) heraus zu betrachten. Die Frau wäre demnach nicht mehr kastriert, sondern ebenso wie der Mann dem Kastrationskomplex unterworfen, denn die Kastration wird bei beiden Geschlechtern symbolisch und ist nicht imaginiert, wie Freud es postulierte. Was jedoch folgt daraus?

Nach Müller-Pozzi (2007) würde diese - an Lacans Strukturalismus angelehnte - Betrachtungsweise die anthropologische Konstruktion Freuds zugunsten einer symbolischen Kastration aufheben, von der beide Geschlechter gleichermaßen betroffen sind, denn der Verzicht auf die Mutterbrust betrifft alle Säuglinge; erst danach können sie sich der Welt zuwenden.

Lacan (2004 [1962-1963]) beschreibt, anders als Freud, den Verzicht nicht als Triangulierung, das heißt nicht als Anerkennung eines weiteren Objekts zwischen sich selbst und der (Mutter-) Brust, sondern als Verzicht auf den Mangel. Das betrifft in der Tat beide Geschlechter. Dennoch bleibt das Problem, dass die Frau nicht in gleichem Maße wie der Mann von der Kastration betroffen ist; schließlich wird in der Urhorde nicht die Mutter, sondern der Vater gestürzt. Damit steht die Frau dem „Sein“ näher als der Mann, während der Mann existiert und um seine Existenz bangen muss.

Nun ja, jetzt ist also nicht der Mann dem Weibe überlegen, sondern umgekehrt, denn das Wesen des Mannes liegt in der Frau. Klingt das nicht genauso wie „Die Frau als Kastrierte spiegelt sich im Mann und erkennt ihren Mangel“?

Das hört sich schwer nach Pseudogleichstellung an, denn eine Verkehrung bedeutet nicht bereits Gleichstellung. Welche Frau möchte schon als erhaben idealisiert werden und damit fast unwirklich werden (vgl. Kleist, Marquise von O.)? Wäre es nicht an der Zeit, eine Theorie zu konstruieren, die sich jenseits des Phallischen an den Merkmalen der Frau orientiert? Wie wäre es mit klitoralem Monismus zum Ausgleich?

Literatur:

Butler, J. (2006). Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. Routledge.

Müller-Pozzi, H. (2007). Eine Triebtheorie für unsere Zeit. Huber.

Horney, K. (1984 [1936]). Die Psychologie der Frau. Fischer.

Freud, S. (1983 [1923]. Die infantile Genitalorganisation. In: Mitscherlich A., Richards A., Strachey J. (Hrsg.). Sigmund-Freud-Studienausgabe, Bd. V: Sexualleben (S. 235–241). Fischer.

Lacan, J. (1991 [1958]). Die Bedeutung des Phallus. In: Lacan, J. (Hrsg.). Schriften II (S. 121–132). Quadriga Verlag.

Lacan, J. (2004 [19962-63]). Le séminaire livre X: L’angoisse. Seuil.

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