Magazine for Sexuality and Politics

Der Club als Kirche

Eine Kolumne über die gesellschaftliche Funktion des Clubbens

Tessa Morgan

Es ist mittlerweile schon eine Ewigkeit her, dass ich bei Facebook ein Tinder-Date hinzugefügt habe. Beim kurzen Überfliegen seines Facebook-Profils fiel mir auf, dass er am liebsten Sonntag nachmittags in einem der bekannteren Berliner Clubs clubben geht und auf Facebook postet, er gehe in die Kirche. Wie lässt sich das verstehen?

Ist die moderne kollektive Erfahrung des Tanzens in Techno-Clubs jenseits der Unterdrückung in der Arbeitswelt ein neues Ritual, mit dessen Hilfe die „repressive Entsublimierung“, wie Marcuse es nannte, dann doch weiter voranschreitet?

Der Gang in den Club wird zelebriert, und oftmals ist er verbunden mit dem Konsum von Drogen, wenn nicht mit LSD oder Liquid Ecstasy, dann eben mit Kokain, seiner billigeren Variante Speed oder schlichtweg mit Alkohol. Insbesondere in Techno-Clubs geht es weniger darum zu flirten, sondern Menschen sind vor allem zum Tanzen da, um einfach abzuschalten, als wenn das Gehirn einfach ausschaltbar wäre und es das Wesen des Geistes schlicht negieren könnte: Denn dieses Wesen ist schon immer etwas, nicht etwa nichts. Die sinnliche Erfahrung wird stilisiert zu einer Notwenigkeit des Auftankens nach dem Stress des Alltags. Unter hohem Lustgewinn wird sich regelrecht in eine andere Welt weggebeamt.

Während Sublimierung verschiedene Formen annehmen kann, wie beispielsweise die sexuelle Libido auf andere gesellschaftliche Bereiche wie Kunst und Kultur, Freunde, Sport oder Hobbies zu lenken, wird die Sublimierung im Techno-Club weder befreit noch verschoben, sondern unverändert in repressive Formen gelenkt, was Menschen zufriedener macht, da sie in der kollektiven Erfahrung ein Geständnis ablegen können, das einer Beichte nahekommt.

Schon Foucault beschrieb in den 1970-er Jahren in seiner „Geschichte der Sexualität“, dass im 19. Jahrhundert eine Säkularisierung im eigentlichen Sinne gar nicht stattgefunden hat und vielmehr bestimmte Formen des Geständnisses Eingang in verschiedene Lebenssphären fanden: Menschen gestehen ihren Lebensstil ja beim Arzt, vor Freunden, vor den Eltern, vor ihrem Therapeuten und auf Arbeit. Das Geständnis liefert dabei Seelenführung und Gewissenslenkung. Indem sich im Rausch Menschen der Musik hingeben, entledigen sie sich ihres schlechten Gewissens, immer auch ein Teil dessen zu sein, was die kapitalistische Gesellschaft stets aufs Neue reproduziert und verfestigt, obwohl die negative Seite davon weiterhin spürbar bleibt. Die Tanzenden lenken mit der kollektiven tänzerischen Erfahrung den Fokus auf ihr sinnliches Erleben, um im Beisein von anderen die Mitschuld an den Auswüchsen des gesellschaftlichen Antihumanismus vergessen zu machen. So wird der Gang in den Techno-Club zu einer lustvollen Erfahrung, einem Sich-Reinigen von Schuld, die im Spiegel einfach nur grausam geworden ist.

PS: Das ist auch der Grund dafür, warum wir sehnlichst auf die Öffnung der Clubs in Berlin warten.

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