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Der „Andere“ in der Theorie Lacan‘s

Susanne Schade

Über den Begriff des "Anderen" in der Lacan'schen Theorie hat es immer wieder Diskussionen gegeben. Und während der junge und mittelalte Lacan sehr geschickt im Schreiben und Reden war, wurde der Lacan der späteren Jahre zu undurchsichtig und war oft sogar sehr falsch. Meistens beziehen sich Lacanianer auf Lacans frühe Texte und nicht auf die späteren, die er verfasst hat, und dafür könnte es tatsächlich einen guten Grund geben.

Lacans größte Leistung bestand darin, die theoretischen Konzepte der "Spiegelphase" und des "Anderen" zu etablieren. Es ist daher müßig zu betonen, dass Lacans Theorien viel von seinem französischen und insbesondere Pariser Umfeld widerspiegeln, wie es sich zu seinen Lebzeiten darstellte. Es ist auch müßig zu bezweifeln, dass gerade jene Menschen, die von der französischen Kultur durchdrungen waren und sich die Psychoanalyse leisten konnten, zur damaligen Zeit alle aus der Oberschicht der Gesellschaft stammten, sei es aus der ökonomischen Oberschicht oder aus der aristokratischen Oberschicht.

Doch zurück zur "Spiegelphase": In dieser Phase erkennt sich das Kind zwar selbst, aber nur durch die kulturelle Aneignung der Welt. Indem es sich kultureller Artefakte wie Sprache, Zeichen und Symbole bedient, erkennt sich das Kind im Spiegel wieder. Was dann folgt, ist ganz entscheidend, denn das Kind distanziert sich tatsächlich von sich selbst. Es bleibt also ein verlassener Teil zurück: "der Andere" und die neu begonnene Ich-Bildung, das heißt. Es ist ein bisschen so, als ob das Kind sich selbst verloren hätte, da es sich nur mit Hilfe der Elternsprache erkennen kann.

In der Psychoanalyse ist das oft schwer zu erkennen bei Patienten, die sich etwas wünschen, sich nach etwas sehnen, ohne jedoch genau zu wissen, wonach sie suchen. Sie befinden sich in einem endlosen Kreislauf der Sehnsucht, der Suche und des Nichtfindens. Manche von ihnen reisen schließlich durch die Welt, ohne zu wissen, wonach sie suchen, aber sie sehnen sich sicherlich nach etwas.

Nun können die Patienten in der Psychoanalyse in einem eher anthropologischen Sinne und auf humanistische Weise eine Sprache entwickeln, die ihnen helfen würde, diesen verlassenen Teil von sich selbst zu entdecken: "den Anderen". Die Sprache der Oberschicht ist für ein solches Unterfangen keineswegs geeignet, da diese Art von Idiom immer die verborgene und nicht zugängliche Schicht der eigenen Persönlichkeit vernachlässigt. Hat der Patient hingegen Zugang zu diesem verborgenen Teil, sozusagen dem vergessenen Teil des Selbst, neben der zuvor stattgefundenen Ich-Bildung erlangt, zu der sich das verborgene Selbst gesellt, kann sich der Patient als ganzheitlichere Persönlichkeit fühlen. Von diesem Punkt an entfaltet die praktische Existenz des Menschen ihr volles Potential, das vorher unterdrückt war.

Außerdem können die Patienten viel sensibler mit ihrer Umwelt umgehen. Alles in allem kann die große Unsicherheit in Bezug auf die menschliche Existenz (die manche Patienten ihr ganzes Leben lang mit sich herumtragen) beseitigt werden. Infolgedessen werden die Patienten in die Lage versetzt, besser und auf wirklich einfühlsame Weise mit der Welt um sie herum zurechtzukommen, emotionale und dauerhafte Beziehungen aufzubauen, sich zu verlieben und andere Menschen warmherzig und freundlich zu behandeln.


Fotos: 
Jacques Lacan, Wikipedia, 2024

Dom Fou, unsplash, 2024

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