Aktivismus als Arbeit? Einblicke in aktivistisches Arbeiten und Wohlbefinden
Arbeit ist ein zentraler Bestandteil menschlichen Lebens. Ob, wie, wo, und mit wem wir arbeiten, beeinflusst unsere Beziehungen, unser Wohlbefinden und unser Ansehen in der Gesellschaft. Arbeit ist für viele Menschen ein Ort der Identifikation, des Wissenserwerbs und der Alltagsstrukturierung (z. B. Jahoda, 1982). Diesen Ort nicht zu haben, ist für die meisten Menschen ein großes Problem (z. B. Mohr & Otto, 2016).
Doch was macht Arbeit eigentlich aus, wann ist etwas Arbeit? Diese Frage ist Gegenstand philosophischer Debatten, feministischer Theorien (Stichwort Care-/Reproduktionsarbeit, z. B. Winker, 2011) und auch popkultureller Auseinandersetzungen (s. z. B. das Lied „(Ode) an die Arbeit“ der Band ‚Wir sind Helden‘). Das Gros der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung ist weiterhin stark auf Lohnarbeit konzentriert. Wenn wir diskutieren, ob Arbeit ein Quell des Lebens ist, sollten wir jedoch auch abwägen, was eigentlich als Arbeit anerkannt wird und wo sich Menschen auch aus sich selbst heraus Wissen aneignen und unentlohnte Arbeit auf sich nehmen. Nicht zuletzt sollten wir betrachten, wie es ihnen mit dieser Arbeit geht. Ein Bereich, der bisher in der wissenschaftlichen Debatte sehr wenig Beachtung gefunden hat, ist der der aktivistischen Arbeit. Das hat zur Konsequenz, dass die Arbeitsbedingungen im Aktivismus und die Auswirkungen aktivistischen Arbeitens auf das Wohlbefinden noch kaum erforscht sind.
Aktivismus ist ein kontinuierliches oder wiederkehrendes Verhalten, bei dem ein politisches Anliegen vertreten wird (Klar & Kasser, 2009). Er kann auf unterschiedliche Weisen erfolgen – z. B. durch die Organisation von Informationsveranstaltungen, das Starten einer Petition oder durch Aktionen zivilen Ungehorsams. Aktivismus war und ist unverzichtbar für das Infragestellen gesellschaftlicher Machtdynamiken (z. B. in den Bereichen Arbeitskampf, Gleichberechtigung, Rassismus, Klimagerechtigkeit). Auch wenn Aktivismus nicht per se emanzipatorisch ist, ist er für die Förderung vieler wichtiger Themen entscheidend und in jeder Gesellschaft präsent (Martin, 2007). Aber: Ist Aktivismus Arbeit?
Aktivismus ist in den Augen vieler Aktivist:innen keine Freizeitbeschäftigung, der sie aus reiner Freude an der Tätigkeit nachgehen. Aktivismus ist oftmals ein wichtiger Teil des Lebens, der mit verschiedenen anderen Lebensbereichen, wie z. B. beruflichen Erwartungen, in Einklang gebracht werden muss (Rettig, 2006). Unbezahlte politische Arbeit kann diejenigen Funktionen von Arbeit erfüllen, die neben der Entlohnung als grundlegend für die psychosoziale Relevanz von Arbeit angesehen werden: Zeitstruktur, soziale Kontakte, kollektiver Zweck, sozialer Status und Aktivität (Jahoda, 1982; Ulich & Wiese, 2011). Daher kann Aktivismus als Arbeit definiert werden (z. B. Biesecker, 2000). Produktive und reproduktive Arbeit auszuführen ist im Leben der meisten Menschen zwangsläufig gesetzt – nur die wenigsten Menschen haben z. B. die materiellen Voraussetzungen, keiner Lohnarbeit nachgehen zu müssen. Darum ist aktivistische Arbeit trotz der emotionalen und politischen Relevanz oftmals das Erste, auf das verzichtet wird, wenn Zeit- oder Geldnot herrschen.
Die existierenden Studien zum Wohlbefinden von Aktivist:innen weisen darauf hin, dass Aktivismus individuelles Wohlbefinden sowohl steigern (Klar & Kasser, 2009) als auch schmälern kann, indem es zu Überlastung oder Burnout führt (z. B. Vaccaro & Mena, 2011). Viele Aktivist:innen empfinden ihre Arbeit als sinngebend, aber ebenso als frustrierend (z. B. Harré et al., 2009). Erste Befunde aus meiner Arbeit zum Wohlbefinden von Aktivist:innen zeigen, dass es sich lohnt, Aktivismus aus arbeitspsychologischer Perspektive zu analysieren und dass die Debattenkultur der jeweiligen aktivistischen Gruppe für das Wohlbefinden eine Rolle spielt. Notwendig für ein besseres Verständnis und eine nachhaltigere Gestaltung von Aktivismus wären in Zukunft systematische Interventionsstudien, die am Beispiel konkreter Gruppenpraxis versuchen, Änderungen umzusetzen und zu bewerten.
Bibliographie:
Biesecker, A. (2000). Kooperative Vielfalt und das Ganze der Arbeit: Überlegungen zu einem erweiterten Arbeitsbegriff. WZB Discussion Paper, P 00-504.
Harré, N., Tepavac, S., & Bullen, P. (2009). Integrity, Efficacy and Community in the Stories of Political Activists. Qualitative Research in Psychology, 6(4), 330–345. https://doi.org/10.1080/14780880903324764
Jahoda, M. (1982). Employment and unemployment: A social-psychological analysis. Cambridge University Press.
Klar, M., & Kasser, T. (2009). Some Benefits of Being an Activist: Measuring Activism and Its Role in Psychological Well-Being. Political Psychology, 30(5), 755–777. https://doi.org/10.1111/j.1467-9221.2009.00724.x
Martin, B. (2007). Activism, social and political. In G. L. Anderson & K. Herr (Hrsg.), Encyclopedia of activism and social justice (S. 19–27). Sage Publications.
Mohr, G., & Otto, K. (2016). Health Effects of Unemployment and Job Insecurity. In A.-S. G. Antoniou & C. L. Cooper (Hrsg.), New directions in organisational psychology and behavioural medicine (S. 307–330). Routledge.
Rettig, H. (2006). The lifelong activist: How to change the world without losing your way. Lantern Books.
Ulich, E., & Wiese, B. S. (2011). Arbeit außerhalb der Erwerbsarbeit. In E. Ulich & B. S. Wiese, Life Domain Balance (S. 149–173). Gabler Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-6489-2_7
Vaccaro, A., & Mena, J. A. (2011). It’s Not Burnout, It’s More: Queer College Activists of Color and Mental Health. Journal of Gay & Lesbian Mental Health, 15(4), 339–367. https://doi.org/10.1080/19359705.2011.600656
Winker, G. (2011). Soziale Reproduktion in der Krise–Care Revolution als Perspektive. Das Argument, 292(53), 3.
Fotos: Header (Pexels / Marco Allasio) Startseite: https://storyset.com/people)
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